Ohnmacht. Wenn das Leben zu groß wird.
- Marco Thomé

- 25. Juni
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Juli

Es gibt Tage, da wirkt das Leben wie eine zu enge Jacke.
Zu viele Eindrücke, zu viele Erwartungen, zu viele Stimmen von außen.
Und in mir bleibt: ein stilles Gefühl von Ohnmacht.
Oft nicht ganz laut. Manchmal dramatisch. Jedenfalls spürbar.
Ich weiß, dass ich nicht allein damit bin.
Viele Menschen tragen diese Ohnmacht in sich
meist gut versteckt hinter Routinen, Rollen und Reden.
Doch manchmal drängt sie nach oben.
In Momenten der Stille.
Oder wenn etwas in uns berührt wird, das wir lange nicht anschauen wollten.
Die wunderbare Nicola Hirsch hat diesem inneren Zustand Worte gegeben.
Ihr Text „Dissonanz“ hat mich tief bewegt.
Weil er genau da hinschaut, wo viele von uns wegsehen.
Weil er nicht urteilt, sondern erinnert.
Erinnert an das, was wir längst spüren –aber oft nicht benennen können.
Ich darf ihn hier mit ihrer freundlichen Erlaubnis teilen.
Und lade dich ein, ihn nicht nur zu lesen,
sondern zwischen den Zeilen zu spüren, was in dir mitschwingt.
Dissonanz
von Nicola Hirsch
Sie sagen dir:
Liebe sei ein Kreuz.
Schmerz sei Erlösung.
Der Himmel sei fern.
Und du?
Du glaubst es.
Weil alle es glauben
Sie zeigen dir Kathedralen,
doch niemand fragt mehr, wer sie wirklich gebaut hat.
Sie nennen es „Gesundheit“,
wenn der Körper betäubt wird.
Sie nennen es „Bildung“,
wenn der Geist zerteilt wird.
Sie nennen es „Freiheit“,
wenn du wählen darfst,
zwischen zwei Käfigen.
Und du fühlst:
Etwas stimmt nicht.
Aber du bist still.
Denn alle um dich sind es auch.
Doch dann,eine Erinnerung.
Nicht laut. Aber wahr.
Sie liegt zwischenden Bildern.
Zwischen den Worten.
Zwischen den Schleiern.
Dort,wo du wieder zu sehen beginnst.
Was dieser Text in mir berührt
Wenn ich ihn lese, kommt etwas in mir zur Ruhe.
Nicht, weil es eine Lösung gäbe – sondern weil ich mich gesehen fühle.
Weil jemand eine Sprache findet für das,
was ich selbst manchmal kaum fassen kann.
Ohnmacht ist kein Zeichen von Schwäche.
Im Gegenteil:
Gerade ihre Annahme führt uns weg von der grassierenden Machtausübung,
die unsere Gesellschaft zerstört.
Die eigene, wahrhaftig gesehene Ohnmacht
setzt das Machtstreben frei – nicht als Kontrolle,
sondern als Fähigkeit, dem Leben ehrlich zu begegnen.
Vielleicht markiert Ohnmacht nicht den Zusammenbruch,
sondern den Beginn einer ehrlicheren Sichtweise.
Einer Sicht, die nicht mehr nach Kontrolle sucht,
sondern bereit ist, die Wirklichkeit zumindest im Ansatz zu sehen.
Ein leiser Impuls zum Schluss
Wenn du in dir gerade Dissonanz spürst
Verwirrung, Zweifel oder dieses stille „Etwas stimmt nicht“
dann bist du nicht allein.
Vielleicht musst du gerade gar nichts ändern.
Nur wahrnehmen.
Zuhören.
Da sein.
Und wenn die Ohnmacht kommt
diese lähmende, ehrliche, große Kraft,
dann kämpfe nicht gegen sie.
Lass dich hineinfallen. Nicht als Opfer.
Sondern als Mensch,
der aufhört, sich selbst zu widerstehen.
Denn in der Hingabe liegt Würde.
Und manchmal, mitten in der Ohnmacht, entsteht etwas Neues:
ein inneres Vertrauen. Zart. Aber echt.
Wenn du gerade an einem Punkt stehst,
an dem du dir selbst nicht mehr ausweichst
jemanden brauchst, der dich still begleitet,
hörend, fragend, ohne Urteil – dann melde dich gern.
Ich begleite Menschen in Übergängen.
In ihre Ehrlichkeit.
In ihrer Stille.
Und manchmal auch – in ihrer Ohnmacht.



